Das Aupatal, Lauf des gleichnamigen ungestümen Wildbachs, steigt von Moggio Udinese Richtung Norden bis zum Sattel von Cereschiatis auf 1066 Höhenmetern an, von wo aus man nach Studena und dann nach Pontebba weiterfahren kann. Es gibt nur wenige Dörfer: Pradis, Chiaranda, Grauzaria, Dordolla und Bevorchians, mit ihren kleinen Weilern und verstreuten Häusern. Im Ganzen leben nicht mehr als zweihundert Menschen im Tal.
Wenn man von Moggio/Mueč zum Talanfang blickt, sieht man die Masse des Montisel (1362 m) auf der linken und den Masareit (1459 m) auf der rechten Seite, einen felsigen Bergkamm, der an die Rückenflosse eines grossen Fisches erinnert und das Aupatal vom unbewohnten Albatal trennt. Im zweitem Stock türmt sich der Čuc dal Bor auf mit seinem auffälligen Gipfel.
Die Grauzaria sieht man erst im zweiten Moment, nach Pradis und Chiaranda/Cjarande (das heisst “Hecke”), aber schon nimmt sie das ganze Bild in Besitz, unten grün und in der Höhe kalkweiss gekleidet, mit einer grossen Geröllhalde um die Mitte. Pradis, der aus drei Weilern besteht, liegt auf den letzten Ausläufern des Masareit, Chiaranda ist eine entlang der Straße verstreute Häusergruppe. Ein wenig weiter, nach einer Gruppe, findet man ein Straßenwärterhaus und eine Quelle, genannt “aip dai cjavai”, mit sehr gutem Wasser. Die Straße, nach dem desaströsen Hochwasser von 2003 vollständig wieder aufgebaut, ist nunmehr breit und bequem und fordert zu hoher Geschwindigkeit, was leicht dazu führt, dass man die Einzelheiten der Landschaft übersieht. Das Wasser des Wildbaches glitzert in der Sonne, wenn es über kleine Wasserfälle hinabstürzt.
Nach fünf Kilometern taleinwärts links die Abzweigung der Straße zum Dörfchen Grauzaria/Graučarie, dessen Besichtigung wegen des harmonischen Ortsbildes und der üppigen Gärten absolut lohnt. Die schon seit Jahren geschlossene Osteria blickt still auf die Straße.
Am Ufer des Flusses ein schönes Feld mit Kartoffeln und Bohnen. Glitzernde Staniolstreifen, die an den Bohnenstangen angebracht sind, bewegen sich im Wind. Vielleicht vertreiben sie die Vögel, aber sicher ziehen sie den Blick auf sich und erzählen von denen, die hier noch immer den Boden kultivieren. Auch die wenigen Häuser von Zais blicken auf die Straße, zusammengekuschelt auf einem Vorsprung wenige Meter über der Straße und nur zu Fuß über eine kleine Treppe erreichbar. Wer da wohnt, muss nur einen Sessel vor die Haustür stellen, und kann, aufgestützt an der Brüstung, wie vom Balkon eines Theaters aus den Verkehr beobachten.
Ein paar hundert Meter weiter ein großes Holzkreuz. Ein anmutiges Haltestellenhäuschen mit zierlichen weißen Gardinen zeigt an, dass man in unmittelbarer Nähe zur Abzweigung nach Dordolla befindet, dem lebendigsten Dorf des Aupatals. Hinter Dordolla ist das Tal wilder und noch dünner besiedelt. Es zahlt sich aus, bei der alten Mühle am Bach Fontanaz anzuhalten, leicht sichtbar auch von der Straße her (in der Nähe einer Autobushaltestelle). Vom Bachbett aus kann man die bauliche Struktur betrachten, aber wenn man sich dem Gebäude nähert und das wuchernde Grün zur Seite schiebt, liest man über dem Tor eine uralte Jahreszahl: 1797. Zehn Kilometer von Moggio entfernt liegt Bevorchians (“Abzweigung”), ein Ort, der aus einer Reihe von Weilern und verstreuten Häusern besteht: Gjaloz, Ors, Gjalizis, Culos, Saps, Matanins. Das Grauzaria-Massiv zeigt sich, von hier aus gesehen, in seiner Gesamtheit, verbunden mit der Creta dei Gjai und dem Sernio. Danach, in einem wunderbaren Wald, steigt die Straße in Serpentinen nach Cereschiatis auf.
Dordolla/Dordole
Ungefähr sieben Kilometer vom Moggio, auf dem linken Rand des Aupatals, lugt der weiße Campanile von Dordolla über die Bäume hervor, hoch auf einem Sporn, wie um das Tal zu beschützen. Der Name des Dorfes leitet sich vom slowenischen dol, Tal, ab, wie überhaupt etliche Flurnamen in der Umgebung (z.B. pustots) slawischen Ursprungs sind.
Mit seinen dicht aneinander gebauten Häusern, den Gässchen und den Torbögen, dem kleinen Platz und seinem Brunnen, erinnert das Dorf ein wenig an Venedig, was der Volksmund – nicht frei von Übertreibung – bestätigt: “Venezia è bella, Dordolla è sua sorella” (Venedig ist schön, Dordolla ist seine Schwester).
An der Piazza über der Kirche St. Florian die Bar und das asilo, ein ehemaliger Kindergarten und Hort, der zu einem Kulturzentrum umgebaut wurde. Von hier aus erscheint die große Masse der Creta Grauzaria in ungewöhnlicher Weise, eingerahmt von den Fähnchen, die vom Dorffest übrig geblieben sind, oder von hohen, rot blühenden Bohnenstöcken.
Wie in einer Szene aus anderen Zeiten spielen die Kinder und laufen im Dorf umher, weil Autos nicht über die Piazza hinaus fahren können. Wer sein Haus renovieren will, muss sich so gut es geht arrangieren: Zement, Ziegel, Dachziegel auf der Piazza ausladen, 200 Meter hinauf mit einem Apecar bringen und dann ab mit der Schiebkarre!
Aber die kämpferischen Bewohner von Dordolla – kaum fünfzig mit einer nicht übersehbaren Anteil von Kindern und Jugendlichen – lieben den Slogan “Dordolla non molla!” (Dordolla lässt nicht locker) und demonstrieren damit ihren festen Willen, hier zu bleiben und hier zu leben und dem Sirenengesang zu widerstehen, der ein einfacheres Leben im Talgrund verspricht, ein Gesang, in den oft auch die Lokalpolitiker einstimmen, die die Kosten für die Infrastruktur reduzieren und die Bevölkerung im Hauptort konzentrieren wollen.
Zur Arbeit fahren alle nach Moggio oder noch weiter. Die einen arbeiten in einer Bäckerei, sind Installateure, Krankenschwestern oder Forstwächter, die anderen arbeiten im Altersheim von Moggio oder haben eine kleine Baufirma; fünf sind Schichtarbeiter in der Papierfabrik. Acht Personen sind Freiwillige beim Zivilschutz, bei der Bergwacht und bei der Feuerwehr.
Es sind die Nachfahrern jener 400 Einwohner, die Dordolla noch vor 100 Jahren hatte und die einst in bitterer Armut lebten. Weil die Landwirtschaft aufgrund des schwierigen Geländes und der Zersplitterung des Grundbesitzes durch ständige Erbteilung zu wenig Ertrag brachte, waren die meisten Männer gezwungen, sich als Saisonarbeiter zu verdingen oder überhaupt auszuwandern. So verschlug es etliche Familien bis nach Kärnten, wovon einige italienische Namen noch heute zeugen.
Drentus und Virgulins
Drentus und Virgulins sind zwei Weiler, die, obwohl von Pradis di Sopra aus auf einer Straße erreichbar, seit jeher mit Dordolla in enger Beziehung stehen, von dem sie nur 15 Minuten auf einem Fußpfad trennen.
Hier hat man die Creta Grauzaria direkt vor sich, gedrungen, massig wie eine autoritäre Herrscherin in all ihren Reifröcken. Unter dem strengen Blick dieses souveränen Berges lebt seit einiger Zeit eine junge Familie: Marina, mit lokalen Wurzeln, ihr Ehemann Kaspar, zugezogen aus dem angrenzenden Kärnten, und ihre drei Kinder.
Das Paar verwendet all seine Energien darauf, mit einem biologischen Bauernhof die großartige Landschaft seiner unmittelbaren Umgebung in respektvoller Weise zu revitalisieren. Die beiden züchten Schafe einer Rasse namens Plezzana und kultivieren typische friulanische Nutzpflanzen, vor allem Kartoffeln und Bohnen.
Einkehr:
Osteria da Fabio, mit angeschlossenem Lebensmittelgeschäft. In der sympathischen Kneipe kommt man leicht mit den ansässigen Menschen in Kontakt und erfährt die Sorgen und Hoffnungen einer kleinen Berggemeinde, die überleben will. Bei Voranmeldung kann man ausgezeichnete lokale Spezialitäten wie di minestra di brovedâr genießen. 0039-0433-51206
Azienda Agricola Tiere Viere. Man kann im alten Bauernhaus von Marina Tolazzi und Kaspar Nickles Quartier nehmen. Die Produkte des Biobauernhofes Tiere Viere (das heißt Alte Erde) kann man bei Voranmeldung direkt vor Ort erwerben. Ebenfalls nach Voranmeldung zeigt Kaspar, der auch ausgebildeter Naturführer ist, die versteckten Schönheiten des Aupatals, von Moggio und des nahen Resiatales.
0039-0433-51063 www.tiereviere.net
©Antonietta Spizzo & UNIKUM 2010; aus “Die letzten Täler”, Drau Verlag 2010, dritte aktualisierte Auflage.