Im kleinen Dorf Vernassino, in den Natisone-Tälern, widmet sich Elio Blasutig noch dem Anbau des Cividin, einer alten bodenständigen Weinrebe, und seine Tochter Raffaella bewirtschaftet das gleichnamige Wirtshaus.
Cividale, Ponte San Quirino, Azzida, die Strasse nach Savogna, und nach einigen Kilometern fährt man links nach Vernassino/ Gorenj Barnas.
An einem sonnigen und heiteren Julitag fahre ich die Kehren hinauf, die von der Talebene zum kleinen Dorf führen, das einmal für die Produktion eines besonderen, und jetzt leider vergessenen Weines berühmt war: der Cividin. Dort oben gegen das tiefe Grün des Hügels hebt sich der unverwechselbare Glockenturm des Dorfes ab. Mit seinem bleifarbenen Spitzgiebel sieht er klein und weitgelegen aus, obwohl er nur 3 km entfernt ist.
Vernassino, “auf 458 m Höhe über dem Meeresspiegel gelegen, kommt uns von unten schön und lieblich entgegen, mit seinen weissen, aneinander gereihten Häusern zwischen den Obstbäumen. Es gibt eine Kirche, einen Pfarrer und eine Schule. Die Einwohner beschäftigen sich mit der Landwirtschaft und dem Obstanbau. Bekannt ist der hiesige Weisswein (Cividino). Es gibt ein Wirtshaus.”
So lese ich in meinem Bezugsbuch “Guida delle Prealpi Giulie” (Führer der Julischen Voralpen) von Olinto Marinelli, 1912 in Udine vom SAF (Friulanischen Alpenverein) herausgegeben. 30 Jahre vorher schrieb ein gewisser Della Bona für die k. u. k. Agrargesellschaft von Görz: “Cividino, in einigen slowenischen Gebieten Zhedaiz genannt, ist einer der besten
Weisstrauben-Rebstöcke. Davon gibt es drei, oder sogar vier Sorten: alle haben runde Beeren; der Wein ist nicht süss aber hell, vom guten Geschmack und lange erhältlich”.
Rebstöcke, Geranien, Oleander
In Vernassino habe ich eine Verabredung mit Elio Blasutig, dem letzten Bauer des alten Weinstocks, der einmal im ganzen Natisone-Gebiet verbreitet war; der aus Vernassino war aber der kostbarste. Unser Treffpunkt ist im Wirtshaus. Es ist fast nicht zu glauben, dass es in einem so kleinen Dorf noch ein im Betrieb stehendes Wirtshaus gibt. Wenige Schritte von der Kirche entfernt sticht ein weisses Haus hervor, das mit einem Wasserfall von rosa und roten Geranien geschmückt ist.
Nichts lässt an ein Wirtshaus denken, wären nicht daneben ein Bocciaplatz und ein altes gelbes Zeichen einer öffentlichen Telefonstelle.
Es gibt auch einige grosse Oleanderpflanzen, die von rosa Blüten bedeckt sind, ein Topf mit einem riesengrossen Feigenkaktus und auch eine dicke, und bestimmt sehr alte, Weinrebe, die bis zum Balkon im ersten Stock hinaufsteigt.
Die Pflanzen, die Farben, das Licht, der leichte Wind, alles erinnert an eine mediterrane Atmosphäre, wir könnten in Dalmatien oder in Ligurien sein, die Verfremdung ist stark.
In der Zwischenzeit ist Elio angekommen: er ist schlank und dynamisch, trägt eine Jeans und ein sportliches Hemd, und sein Aussehen verrät nicht, dass er im Jahre 1927 geboren ist.
“Dieser alte Weinstock hat nichts mit dem Cividino zu tun, das produziert Tafeltrauben – sagt er zu mir – Hier, bevor mein Vater dieses Haus gebaut hatte, gab es ein Feld und diese Pflanze existierte schon, sie muss mindestens 100 Jahre alt sein, ich habe sie immer schön und kräftig gesehen. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen meinen Weingarten.”
In Elios Weingarten
Wir gehen wenige Schritte hinter das Haus, wo die Weinstöcke in einem dichten Reblinggewirr auf den Hang hinaufsteigen.
“Hier sind sie, die Cividino-Reben wechseln sich mit denen von Cilja, Dregnak und Teran ab; es sind alle Weissweintrauben, die wir seit immer miteinander mischen, um den Wein zu machen, den wir nicht Cividino sondern “Zividìn” nennen. Davon besitze ich insgesamt 300 Reben. So weit ich mich daran erinnern kann, gab es diese Rebsorten hier seit jeher, wie mein Vater und mein Grossvater erzählten.
Es sind sehr langlebige Pflanzen, sie leben und tragen Früchte mindestens 50 Jahre lang, aber einige von meinen Reben sind über 100 Jahre alt, die hat mein Vater gepflanzt. Der Zividin gedeiht besonders gut in Vernassino und in Costa; unten im Tal dagegen lohnt es sich nicht, ihn zu bebauen, die Ernte ist nicht gut. Wahrscheinlich hängt es vom Boden und von der Belüftung ab. Einmal gab es wirklich viel Zividin, wir brachten ihn sogar nach Cormons. Die Blätter haben eine typische Verzackung und die Trauben, wenn sie vollreif sind, haben eine gelbliche Farbe, mit ganz dichten Beeren.
Es ist ein trockener Wein, mit ungefähr 11 Prozent Alkoholgehalt, aber manchmal, wenn der Sommer besonders warm ist, wie im Jahre 2003, erreicht er auch 12 Prozent.
Es sind kräftige Pflanzen, wir machten gar keine Behandlung ausser mit Kupfersulfat und Kalk. Natürlich liebt diese Pflanze ein sonniges Klima, wenn während der Blütezeit das Wetter zu feucht ist, wird die Traube nicht gross.
Aber unser Klima ist sonnig und sehr mild, auch im Winter ist es bei uns nicht sehr kalt, immer 4-5 Grad mehr als im Tal, die Sonne scheint schon am Morgen früh und wir sind vor dem Wind geschützt.
Ich habe immer mit Begeisterung im Weingarten gearbeitet, und ich habe alles von meinem Vater gelernt, der es seinerseits von seinem Vater gelernt hatte. Jetzt produziere ich 5-6 Hektoliter pro Jahr. Klar, Wein wird nicht mehr so viel getrunken, und das genügt für das ganze Jahr. Einmal kaufte mein Vater die Weintrauben vom ganzen Dorf und produzierte zirka 40 Hektoliter Wein. Er wurde hier im Dorf verbraucht, wir waren 700 Leute, damals. Aber die Leute, die wissen, dass ich diesen Wein produziere, kommen noch heute hierher, um ihn zu kaufen.
Der Ostermontag-Ausflug
Aber wie ist der Geschmack dieses Weines? “Was ich mache ist hundertprozentig natturrein, ich tue gar keine Chemikalien drin. Er schmeckt besonders gut im Sommer, denn er hat einen ganz besonderen, ein wenig bitterlichen Geschmack, der den Durst löscht.
Zu uns kommt Irma, Elios Schwester, 1922 geboren (aber wie ihr Bruder sieht sie viel jünger aus), mit einem wichtigen Zeugnis.
“Viele Leute kamen extra hierher, um den Cividino zu trinken, deswegen trägt das Wirtshaus diesen Namen. Schauen Sie mal her – sagt sie, und zeigt mir ein verblasstes Farbbild, das in den USA gedruckt wurde – Das hat mein Cousin Augusto am Ende der 30er Jahre geknipst, als er mit seiner Mutter Mariuta aus Amerika zurückgekommen ist, es steht auch auf der Rückseite geschrieben.”
Tatsächlich zeigt das Foto (this is a Kodacolor print!) das gleiche Haus wie heute, mit dem üppigen Weinstock und die tausend Blumen, aber die Fenster sind steinumrahmt und auf der Wand ist geschrieben: “Osteria al Cividino”.
Irma erzählt weiter: “Es ist Tradition hier, am Ostermontag den Zividin zu trinken, und so kamen aus den ganzen Natisone-Tälern Leute – wer es sich leisten konnte sogar mit dem Fahrrad – ins Wirtshaus hierher. Meine Mutter kochte eine Eierspeise mit Salami oder bereitete den traditionellen Frico (gebackenen Käse mit Kartoffeln) und Polenta vor. Die Leute aus Rodda kamen über den Berg und schafften es in drei Vierteln Stunde. Während des Sommers kamen immer Leute aus Cividale und machten einen Radausflug.”
Zwei Kassenzettel pro Tag
In der Zwischenzeit haben sich auch Elios Tochter Raffaella und Elios Enkelin Tiziana uns angeschlossen. Tiziana besucht die Konditorei-Schule in Cividale.
Drei Generationen im Schatten des alten Weinstocks, also, und mein Interview wird zu einem Gemeinschaftswerk.
Es schlägt Mittag und die Glockenschläge sind so stark, dass wir kaum sprechen können, aber sie stören nicht den kleinen Hund, der in der Strassenmitte schläfrig liegt. Dann wieder rundherum Stille, Vögelgesang. Aber diese Ruhe hat ihre Nachteile, denke ich, ich bin hier schon ein paar Stunden und kein Gast, so scheint es mir, ist ins Wirtshaus gegangen. Als würden sie meine Gedanken lesen, sagen Irma und Elio fast einstimmig: “Wir haben uns bemüht, in Erinnerung an unsere Eltern das Wirtshaus immer im Betrieb zu halten, trotz der Armut haben sie sechs Kinder grossgezogen, wenn wir es jetzt schliessen würden, würden wir ihnen ein grosses Leid verursachen, so scheint es uns. “
Dann fährt Elio fort: “Es ist Raffaellas Verdienst, dass es noch offen ist. Sie hat in diesen letzten Jahren mit so grosser Mühe und Opferbereitschaft das Wirtshaus bewirtschaftet, dieses Wirtshaus, das mindestens 150 Jahre alt ist, wo wir heute nur zwei oder drei Kassenzettel pro Tag tippen. Es tat uns leid, es auch für die Leute aufzugeben, die noch hier wohnen, vor allem für die Älteren. Für die ist das Wirtshaus ein wichtiger Treffpunkt am Sonntag. Alles stirbt, wenn man keinen Treffpunkt mehr hat.”
Raffaella fügt hinzu:”Die Bürokratie mach uns das Leben besonders schwierig: man muss hin und her laufen, so viele Sachen erledigen, Einkäufe, Abgaben, Steuerberater…(Anmerkung: die italienische Bürokratie ist so kompliziert, dass auch die kleinsten Betriebe einen Steuerberater brauchen, um bei der Buchhaltung klar zu kommen) Hoffentlich halten wir’s durch, vielleicht werden wir in das B&B-Netz eintreten.”
Aber Irma unterbricht sie hoffnungslos: “Die Zukunft kann uns nichts Gutes bringen. Die jungen Leute haben kein Interesse an der Arbeit mit den Weinreben und sie trinken auch keinen Wein mehr; es ist doch selbstverständlich, dass jede Arbeit hier im Gebirge anstrengender ist als im Tal, denn man muss alles mit der Hand machen. Wenn man zur richtigen Zeit den Leuten im Gebirge geholfen hätte, wären nicht so viele weggegangen, jetzt braucht man drei mal so viel Mühe, um wieder zu beginnen. Jetzt kann man praktisch keine Kühe mehr haben, wenn man auch nur eine Pasta kochen will, muss die Küche allen EG-Normen entsprechen, wie ein Restaurant in der Stadtmitte. Statt demjenigen zu helfen, der sein Lokal offen halten will, um ihn zu ermutigen, macht man alles mögliche, um ihn zu entmutigen. Man sagt, der Markt/ die Marktwirtschaft ist frei? Ja, aber nur für die Reichen. Viele sagen: lieber schlafen als Geld verlieren.
Erinnerungen und Hoffnungen
Selbstbewusstsein und Bitterkeit verflechten sich in Irmas Erinnerungen, die im Kriegszeit in ihren 20er Jahren war.
“ Mit anderen Freundinnen aus dem Dorf fuhr ich mit dem Fahrrad nach Triest und tauschte Eier und Butter gegen Salz ein. Wir fuhren um 5 Uhr in der Früh los und kamen um 10 Uhr abends zurück. Das sollten diejenigen noch bedenken, die einen grossen Mund haben und viel schwatzen. Und der Brunnen war so weit von meinem Haus entfernt, dass meine Kleider auf den Schultern ganz kaputt waren, so schwer waren die Wassereimer, die ich mit dem buinç (Holzbogen mit Haken) trug… arme Irma, was für Erinnerungen!”
Aber wir wollen uns nicht mit traurigen Noten verabschieden. Elios Weingarten wird weiter gedeihen: Graziano, Elios Sohn, kümmert sich um die Weinreben so leidenschaftlich wie sein Vater. Obwohl er in Remanzacco wohnt, kommt er so oft wie möglich nach Vernassino. Und die Cividin-Weinreben gedeihen und tragen Früchte auch jenseits des Tagliamento ( di là da l’aghe), dank der fast archäologischen Mühe von Emilio Bulfon, dem einzigen friulanischen Winzer, der die alten bodenständigen Rebsorten wiederaufgewertet hat und wertvolle Weine damit produziert. Aber das werden wir ja in der nächsten Folge sehen. ©Antonietta Spizzo für “IL NUOVO” 2006, deutsche Fassung der Autorin.